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Selbstbestimmung bis zuletzt Eine Stellungnahme von Professor Dr. Ingo Proft Professor Dr. Ingo Proft lehrt an der Theologischen Fakultät Trier sowie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar und leitet das dortige Ethikinstitut. Vallendar. Die Frage nach einer »Hilfe zur Selbsttötung« wird seit Jahren in Deutschland kontrovers diskutiert. In dieser Auseinandersetzung hat der Deutsche Bundestag Ende 2015 eine wichtige Positionierung vorgenommen: Mit der Einführung des § 217 StGB hatte er damals die geschäftsmäßige Suizidhilfe unter Strafe gestellt. Gegen diese Regelung wurde Verfassungsbeschwerde ein- gelegt, unter anderem mit der Begründung, der Paragraph sei unverhältnismäßig, nicht verfassungskonform und schränke das Recht auf persönliche Selbstbestimmung, im Falle schwe- rer Krankheit und eines unüberwindbaren Leidens dem eigenen Leben unter Hinzuziehung eines Arztes ein Ende zu bereiten, radikal ein. Das Bundesverfassungsgericht hat sich darauf- hin mit der Verfassungsbeschwerde beschäftigt und in seinem Grundsatzurteil vom 26. Februar 2020 das sogenannte Sterbe- hilferecht neu bewertet. Mit großer Sorge haben nicht nur konfessionelle Träger von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen das Urteil zur Nichtigkeit des bis dato geltenden »Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB« aufgenommen. Während vor allem christliche Organisationen eine erheb- liche Akzentverschiebung zur Ausweitung einer organisierten Sterbehilfe befürchten, begrüßen Befürworter die jüngeren Ent- wicklungen als Durchbruch. Die Argumente reichen von einer Verkürzung menschlicher Selbstbestimmung auf das Recht zu (assistierter) Selbsttötung, über eine Funktionalisierung des Arztes zum Dienstleister eines möglichst schnellen und kompli- kationslosen Sterbens, bis hin zu einem Befreiungsschlag »auto- nomer Selbstbestimmung«. In der Begründung des Urteils wird die Selbstbestimmung in die Nähe der Menschenwürde gerückt (Kombinationsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 1 Abs. 1) und damit stark auf- gewertet. Auch wenn die Selbstbestimmung in der Tradition Im- manuel Kants als Maßstab verstanden wird, von dessen Sinnhaf- tigkeit der Mensch überzeugt ist und dem er deshalb »aus freier Einsicht Folge leistet«, bleibt unklar, welche konkreten Konse- quenzen sich daraus für eine »freiverantwortliche Selbsttötung« ergeben. Darüber hinaus bleibt nicht nur fraglich, ob und wie eine autonome Entscheidung eindeutig zu bestimmen ist, son- dern auch in welcher Form sich daraus ein »Rechtsanspruch« gegenüber Dritten ableiten lässt. Für Juristen, Ärzte und Pflege- kräfte und nicht zuletzt auch für Patienten und ihre Angehöri- gen entpuppt sich die Novellierung als eine »Rechtssicherheit«, jedoch mit negativem Vorzeichen. Zweifelsohne hat das Bundesverfas- sungsgericht den Ball an den Gesetzgeber zurückgespielt, der vor der Aufgabe steht, konkrete Regelungen mit einer »hohen Kontrolldichte« zu entwickeln, die ver- hindern sollen, dass kranke und sterbende Menschen dem Zwang zur Rechtfertigung ihres Daseins ausgesetzt werden. Viele Fragen bleiben dabei offen; man- che Ausführungen in der Begründung des Urteils wie auch in den damit verbunde- nen Konsequenzen für den Gesetzgeber, Ergänzendes zum Thema assistierter Suizid → Als Reaktion auf das Urteil des Bundesgerichtshofs hat sich die Hildegard-Stiftung im letzten Jahr einem großen Bündnis katholischer Träger sozialer Einrichtungen ange- schlossen und eine Erklärung mit dem Titel »An der Seite des Lebens« veröffentlicht (abrufbar im zentralen Intranet unter Themen/Ethik). → Das ungebrochene Interesse am Thema, zeigte sich auch bei einem Symposium im April bei dem über 160 Teilnehmende des Bündnisses gespannt den Impulsvorträgen der Referenten Professor Dr. Stephan Sahm, Medizinethiker & Facharzt für Innere Medizin und Professor Dr. Dr. h.c. Dipl.-Psych. Andreas Kruse, Leiter des Instituts für Gerontologie & Mitglied des Deutschen Ethikrats lauschten und sich anschließend angeregt in Kleingrup- pen austauschten. Ein wichtiges Ergebnis, die Suizidprävention soll in unseren Einrichtun- gen weiter ausgebaut werden. für Landesärztekammern, für Träger von Gesundheit und Sozial- einrichtungen sind hoch umstritten oder zumindest kontrovers diskutiert. Dies betrifft insbesondere die rechtliche Ausgestal- tung seitens des Gesetzgebers wie daran anschließend deren Umsetzung in die Praxis. Damit verbindet sich natürlich auch die Frage, ob und in welcher Form konfessionelle Trägerschaften zukünftig (noch) eine Sonderrolle einnehmen können. Auf den Punkt gebracht heißt dies: Ein Autonomieverständnis, das Selbstbestimmung am Le- bensende (nur) auf einen rechtlichen Anspruch zur medizinisch assistierten Lebensbeendigung verkürzt, geht an der Lebens- wirklichkeit und an einem echten Bedürfnis nach Begleitung und Hilfe im Sterben vorbei. Mut machen viele sozialpolitische Initiativen besonders konfessioneller und freigemeinnütziger Träger, die gezielt in der Vorbereitung von Gesetzentwürfen ihre Argumente zur Bewahrung besonderer Schutzräume geltend ma- chen. Zu hoffen bleibt, dass sich daraus in Politik und Gesell- schaft ein Perspektivwechsel im Sinne eines übergreifenden le- gislativen Schutzkonzeptes entwickelt, mit den Schwerpunkten: • Ausbau suizidpräventiver Angebote • Angebote gegen Einsamkeit in Alter und Krankheit • Investitionen in hospiz- und palliativmedizinische Konzepte • Umfassende Schulungen für Gesundheits- und Sozialberufe zum kompetenten Umgang mit Suizidalität • Etablierung von Schutzräumen gegen eine geschäftsmäßige Suizidhilfe Nur so kann es gelingen, den öffentlichen Diskurs und den Respekt im Umgang mit »Suizidwünschen« zu stärken und zu- gleich einer wachsenden Heteronomie im Sinne einer Begrün- dungspflichtigkeit des Lebens entgegenzutreten. Prof. Dr. Ingo Proft, Foto: privat ETHIK Spectrum 1/2021 49

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